(aus: iza — Zeitschrift für Migration und soziale Arbeit, Heft 1 / 2001, S. 52 ff.)

 

 

Stefan Gaitanides

 

 

Veränderte Aufgabenbestimmung der Migrationssozialarbeit

und interkulturelle Öffnung der Regeldienste

- Vorgaben der neuen Förderungsgrundsätze -

 

 

Der Aufgabenrahmen der Migrationsdienste ist durch die staatlichen Geldgeber in den ,,Grundsätzen für die Ausländersozialberatung" der Kommission ,,Ausländerpolitik" , die ab 1.1.99 in ihrer neuen Fassung in Kraft getreten sind, abgesteckt (Bund-Länder-Kommission ,,Ausländerpolitik" 1998). Dort wird zum wiederholten Male festgehalten, was die Migrationsdienste nicht tun sollen, - woran sie sich in der Vergangenheit aber wenig gehalten haben (vgl. Gutachten im Auftrag der staatlichen Zuschußgeber: Nestmann/Tiedt 1988):

  • Mündliche Dolmetschertätigkeiten für andere Dienste und Institutionen
  • Beratungsdienste im Bereich der gesetzlichen Pflichtaufgaben
  • Durchführung von Sprachkursen
  • Psychologische Beratung und Therapie
  • Rechts- und Lohnsteuerberatung

    Die konsequente Verweigerung dieser Tätigkeiten beziehungsweise Delegation dieser Aufgaben an andere Dienste, die ja meistens von den Klienten - aber auch den Behörden und anderen Diensten - aufgedrängt werden, setzt die Beratungsdienste für ihre eigentlichen Aufgaben frei und verhindert, daß sie weiterhin als ein Alibi für den Einsatz eigener muttersprachlicher Ansprechpartner und Übersetzer bei der Verwaltung und den sozialen Regeldiensten herhalten. Allerdings ist diese Abgrenzung nur für die Klientel tragbar, wenn die Verwaltung und die Regeldienste sich zügig interkulturell öffnen. Meine Auffassung von den Aufgaben und Zielgruppen der Migrationsdienste deckt sich größtenteils mit derjenigen der ,,Grundsätze":

    Dabei sollte der Sozialberater die Rolle des Case-Work-Managers einnehmen, der seine Aufgabe primär in der Erschließung der Ressourcen der informellen sozialen Netzwerke wie der institutionalisierten sozialen Regeldienste sieht. Auch wenn die Vermittlung zu diesen Diensten erfolgreich ist, bedarf es jedoch häufig der parallelen Beratung und Nachbetreuung. Der Case-Work-Manager bleibt der wichtigste Ansprechpartner für die rat- und hilfesuchende Person. Bei ihm laufen die Fäden der meist sehr komplexen Problembearbeitung zusammen. Über die Einzelfallhilfe hinaus sind Aufgaben:

    Letztere beiden Aufgabengebiete sind in den Grundsätzen nicht ausdrücklich erwähnt, können aber indirekt daraus abgeleitet werden. Dass in den neuen Grundsätzen die Gruppen- und Gemeinwesenarbeit sowie die Arbeit mit Multiplikatoren der Einzelfallberatung- und -hilfe gleichberechtigt an die Seite gestellt wird, ist sehr zu begrüßen, da hierdurch nicht nur kurativ gearbeitet werden kann sondern auch präventiv und Initiativen zu sozialräumlichen strukturellen Verbesserungen ergriffen werden können. Isolierte Einzelfallhilfe in der sozialen Arbeit ist eine Sisyphusarbeit, die langfristig zu einer resignativ-zynischen Einstellung oder zu Erschöpfungs-Syndromen führen muß.

    Ob die Erweiterung des Handlungsrepertoires allerdings bei den knapper werdenden Ressourcen überhaupt zu leisten ist, ohne daß die Einzelfallhilfe wesentlich beschnitten wird, ist zu bezweifeln.

    Eine hundertprozentige Abgrenzung gegenüber anderen Berufsfeldern wird nicht immer möglich sein und ist auch nicht immer wünschenswert, da auch ein Minimum an muttersprachlichen Alternativen aufrecht erhalten werden muß, damit die Wahlfreiheit der Klientel gewährleistet bleibt. Die nicht-deutschen Klienten müssen auch selbst entscheiden können, ob sie lieber die Angebote des Migrationsdienstes in Anspruch nehmen oder eine Regeleinrichtung aufsuchen. Dies gilt nicht für Dienstleistungen, die ausdrücklich ausgeschlossen sind.

     

    Was kann die Migrationssozialarbeit zur Öffnung der sozialen und psychosozialen Regeldienste beitragen?

    Verbesserung des fachlichen Austausches durch gemeinsame Fortbildungen und Fachtagungen sowie die Organisation von Arbeitskreisen:

     

    Allgemeines zu Fortbildungsinitiativen

    Damit nicht nur die schon Überzeugten erreicht werden (teaching to the converted) sondern sich auch die KollegInnen angesprochen fühlen, die dem Themenkreis ,,Vorurteile, Diskriminierung, Ethnozentrismus, Rassismus" mit großen Widerständen begegnen, sollten Fachtagungen zwar auf Wissensvermittlung (Informationen über Herkunftsländer/-kulturen / Commnunities, Rechtslage, soziale Lage/Chancen) fokussiert werden und als fachliche Handlungsorientierung zur Erleichterung und Verbesserung der Qualität der Arbeit angeboten werden. Dabei darf aber nicht verzichtet werden auf die Reflexion von Fremd- und Selbstbild durch geeignete interaktionistische Verfahren (biographisches Arbeiten, Fotolanguage, interkulturelle Spiele, Rollenspiele, Statuentheater, Malen und so weiter). Denn ohne Selbstreflexion besteht die Gefahr, daß zum Beispiel kulturelle und soziale Hintergrundinformationen selektiv verarbeitet werden und in das Raster vorhandener Vorurteile eingeordnet werden.

    Erfahrungsgemäß lassen sich noch am ehesten die Abteilungen der Regeldienste durch Fortbildungsangebote ansprechen, die einen großen Handlungsbedarf wegen des hohen oder wachsenden Anteils von Migranten an ihrer Klientel haben (zum Beispiel ASD, Jugendhilfe, Suchtberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Berufsförderung für schwer Vermittel - bare). Hier sollte man realistischerweise nachfassen und diese immer noch zu spärlichen Fortbildungen vermehren und qualifizieren. Die Bereiche, die sich bisher noch völlig unzureichend fortgebildet haben, weil sie wegen der Zugangsprobleme einen geringeren Handlungsdruck spüren, bedürfen eines größeren Druckes ,,von oben" (zum Beispiel Familien- und Erziehungsberatung, Familienbildung). Hier ist es besonders wichtig, daß sich die Leitungsebene engagiert und ihren MitarbeiterInnen signalisiert, daß der Erwerb interkultureller Kompetenz und der Abbau von Zugangsbarrieren für Migranten für sie hohe Priorität besitzt.

    Beispiele: Initiativen ,,von oben"

     

    Beispiele für Arbeitskreise der ,,engagierten Fachbasis" (Initiativen ,,von unten")

     

    Entwicklung von engeren Kooperationsbeziehungen (Vernetzung)

    Anzustreben ist ein noch konsequenterer Übergang von der vielkritisierten ,,Allzuständigkeit" zum konsequenten ,,Case-Work-Management" , das die systematische Erschließung der Ressourcen der Regeldienste beinhaltet (vgl. einschlägiges Boschprojekt der AWO in Berlin in den 80er Jahren und Schulung der Mitarbeiter in dieser Arbeitsmethode) - d.h. Delegation spezieller Aufgaben an spezialisierte Dienste und beraterische Begleitung dieser Delegationen. Erstellung gemeinsamer Hilfepläne und Treffen klarer Absprachen über Arbeitsteilung, wechselseitige Hospitation und Fall-Intervision. Dadurch verdichtet sich zwangsläufig die Zusammenarbeit mit den Regeldiensten.

    Die Migrantenklientel sollte systematisch über die Regeldienstangebote informiert und mit ihren Repräsentanten bekannt gemacht werden zum Beispiel durch Informationsabende, Besuche im Rahmen der Erwachsenenbildungs- und Gruppenarbeit (vgl. AWO Hoechst) , gemeinsame Informationsveranstaltungen mit Regeldienstvertretern bei Selbstorganisationen (zum Beispiel Berufsbildungsinfos in Moschee- oder Elternvereinen unter Beisein von Berufsberatern, Maßnahmenträgern im Bereich der Berufsförderung (AMKA/KUBI) und so weiter dasselbe im Bereich der Drogenprävention).

    Eine weitere wichtige Vernetzungsschiene ist die Beteiligung an informellen und formell institutionalisierten Arbeitskreisen, an Facharbeitskreisen und an ,,runden Tischen" und Jugendhilfeverbünden auf Stadtteilebene. Letztere implizieren auch das sich Einlassen auf Dezentralisierung und auf Trägerverbünde (vgl. Beispiel Boschprojekt: "Ausländer und Deutsche im Stadtteil" Anfang der achtziger Jahre ; Regionalisierung der sozialen Dienste in München und Frankfurt (Sozialrathäuser); verbindlich institutionalisierte Jugendhilfe- verbünde auf Stadtteilebene sind zum Beispiel in den Niederlanden inzwischen die Regel. Bei uns sind sie noch in der Planungsphase - zum Beispiel in Frankfurt am Main). Scharnierwirkung für eine engere Verbindung zwischen Migrationsdiensten und Regel-diensten könnte auch Qualifizierung einiger MitarbeiterInnen der Migrationsdienste für spezialisierte Tätigkeiten und Integration dieses Personals in die Regeldienste durch Förderung einschlägiger Fort- und Weiterbildung (Schulderberatung, Suchthilfe, Familienhilfen (AWO München) und so weiter) haben. Insbesondere bei Familienhilfen, bei denen die Zugangsschwellen besonders hoch sind, kann der Einsatz entsprechend weitergebildeter muttersprachlicher Kräfte besonders effektiv sein. Innerhalb der Dienste können sie dann zur Implementation interkultureller Kompetenz und externen Vernetzung mit den Migrationsdiensten besser beitragen als bisher. Außerdem werden die beruflichen Optionen für die MitarbeiterInnen der Migrationsdienste, die ja auch immer noch in ihrem Bestand gefährdet sind, erweitert.

    Da die Verdichtung der Zusammenarbeit keine Einbahnstraße ist, ist es wichtig, daß interkulturelle Querschnittsstellen innerhalb der Organisationsstruktur der Regeldienste installiert werden - möglichst auf Stabsebene (,,Gleichstellungs-/interkulturelle Beauftragte", ,,Ombudsstellen", ,,Veränderungsagenturen"). Diese Brückenköpfe erleichtern das Zusammenwachsen erheblich - vorausgesetzt sie haben keine Alibifunktion sondern genießen die volle Unterstützung ihrer Organisation; Durchaus verbesserungsbedürftig - wegen unterschiedlicher Zielsetzungen und Claim-Interessen - ist auch die Kooperation mit ,,interkulturellen Büros"/ "Ausländerbeauftragten"/ "kommunalen Ausländervertretungen" der Gemeindeverwaltung und mit den ,,interkulturellen Fachstellen" oder ,,Koordinatoren" der einzelnen städtischen Referate und Ämter.

     

    Probleme und Möglichkeiten der Implementation von Vernetzung

    Es hat sich gezeigt, daß bei einschlägigen Vernetzungsinitiativen die Beteiligung der MitarbeiterInnen der Regeldienste sehr viel geringer ist als die der MitarbeiterInnen der Migrationssozialarbeit. Auch auf der Hierarchieebene scheint es viel mehr Initiativen von Seiten der Abteilungsleitungen der Migrationsdienste zu geben als von den Abteilungen der spezialisierten Regeldienste. Im Gegenteil, den Initiativen von Seiten der Migrationsabteilungen wird teils sogar mit Mißtrauen begegnet - wegen unterstellter Expansions- gelüste und Angst vor Einmischungen. Hier scheint sich engstirniges Ressortdenken immer wieder der notwendigen Querschnittsaufgabe zu verweigern. Außerdem sperren sich Mitarbeiter gegen Vernetzungsinitiativen, wenn in ihren Augen Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis stehen. Dies gilt vor allem für diffuse Vernetzungsvorhaben, die in ihren pragmatischen Zielsetzungen unklar sind und deren Ressourcenverbrauch unübersichtlich ist. Deswegen rät der Leiter der Abteilung Zuwanderungsfragen im Landesverband der AWO Hamburg, Ulrich Zuper, nach seinen Erfahrungen mit Vernetzungsansätzen - zum Beispiel in einem gemeinsamen Vernetzungsprojekt mit dem Arbeits- und dem Sozialamt (Aufbau eines gemeinsamen Jobclubs, Vermittlung nach der Maat-Werk-Methode, muttersprachliche Beratung) - dazu, Schwerpunkte herauszufinden, deren kooperative Bearbeitung eine sichtbare Verbesserung der Qualität oder eine meßbare Erleichterung der Arbeit (zum Beispiel durch die Vermeidung von Doppelbearbeitung) ergeben (vgl. Nispel 1998).

    Bei einem Weiterbildungslehrgang des Verbandes binationa1er Familien und Partnerschaften (IAF) für BeraterInnen der Sozialen Dienste in Berlin, der u.a. das Thema Vernetzung von Sonder- und Regeldiensten auf seine Agenda gesetzt hatte, wurden in einem Brainstormingverfahren Gewinn und Verlust vernetzten Arbeitens bilanziert. Heraus kam ein Katalog, der die Fülle der hemmenden Faktoren auflistet, der aber auch die Anreize ausdifferenziert, mit denen - wie ich meine - Vernetzung besser ,,verkauft" werden könnte (Dreezens-Fuhrke u.a. 1999, S.164). 

    Gewinn oder fördernde Faktoren:

    Verlust oder hemmende Faktoren:

    Zur Überwindung der Widerstände der Sozialbetriebe gegen die interkulturelle Öffnung und Vernetzung empfiehlt die niederländische Expertin für interkulturelles Management, Besamusca-Janssen, nicht durch eine moralisierende Gleichstellungsrhetorik die Abwehr womöglich noch zu verstärken, sondern statt dessen auf die Synergieeffekte von kultureller Diversität beziehungsweise Vielfalt der Sichtweisen und Fähigkeiten der MitarbeiterInnen überhaupt hinzuweisen. Sie empfiehlt ein behutsames, die Abwehr reflektierendes Vorgehen. Ein von oben verordnetes Verfahren - ohne ausgiebige Überzeugungsarbeit - sei von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schließlich schlägt sie ,,maßgeschneiderte" Lösungen vor, die die je unterschiedlichen Voraussetzungen der Organisationsstruktur und des Arbeitsfeldes berücksichtigen. Am erfolgversprechensten sei die interkulturelle Öffnungsoffensive bei ,,offenen" Organisationskulturen, die in Deutschland eher bei den freien Trägern als etwa bei der öffentlichen Sozialverwaltung zu finden sind. Dort solle man beginnen und die härtesten Bretter erst bohren, wenn die Protagonisten durch ihre – wegen der Synergieeffekte – erfolgreichere Arbeit auch auf die anderen Bereiche zu überzeugen beginnen (Besamusca-Janssen/Scheve 1999).

     

    Statusprobleme und Instrumentalisierung der Migrationssozialarbeit

    Auf den letzten Punkt in der obigen Negativliste - das Problem fehlender wechselseitiger Akzeptanz - möchte ich etwas näher eingehen. Das bei den Regeldiensten verbreitete ,,Image" der Migrationssozialarbeit beeinflusst die Zusammenarbeit negativ. Das professionelle Profil der Migrationssozialarbeit ist aus der Außenperspektive schwer erkennbar. Auch hat der Ruf dieses Bereiches - was die Qualifikation der MitarbeiterInnen betrifft - durch die anfängliche Einstellung unqualifizierter Kräfte, die jetzt langsam das Rentenalter erreichen, sehr gelitten. Unterstellt wird häufig auch ein Mangel an professioneller Distanz gegenüber den traditionellen Erwartungen der Klientel und den Gruppenzwängen (vgl. Anderson 2000).

    Viele MitarbeiterInnen der Migrationsdienste beklagen sich über die Arroganz ihrer deutschen Kooperationspartner, die sie nicht als ernst zu nehmende FachkollegInnen akzeptieren und sie fühlen sich von ihnen als kostenlose Dolmetscherdienste instrumentalisiert. Bekannt ist auch, daß sich der niedrige Status der Klientel auf den Status derjenigen überträgt, die mit diesen Klientengruppen arbeiten.

     

    Was tun zur Statusaufwertung?

    Die Wohlfahrtsverbände müssen sich zu einem klareren Profil der Arbeit der Migrationsdienste durchringen. Sie müssen ihre Aufgabenbestimmung und Abgrenzung zu den Regeldiensten besser verdeutlichen. Die Grundsätze der Kommission Ausländerpolitik können dafür nur den Rahmen abgeben. Dieser Rahmen muß fachlich noch stärker gefüllt und ausdifferenziert werden. Um den Status der Migrationssozialarbeit aufzuwerten, ist es auch von Wichtigkeit, daß die Migrationsabteilungen ihren innerorganisatorischen marginalen Status, von denen viele Referenten berichten, überwinden - durch entsprechende Organisationsentwicklungsmaßnabmen (Ansiedlung der ReferentInnen auf Stabsebene mit Querschnittskompetenz, Integration in abteilungsübergreifende Teams, Arbeitsgruppen, Qualitätszirkel).

    Überall da, wo die Leitungsebene sich mit dem Ziel der interkulturellen Öffnung identifiziert und dieser Aufgabe hohe Bedeutung einräumt und entsprechende Signale an ihre Mitarbeiter sendet, steigt auch die Beteiligung an der ersten Venetzungsstufe - den gemeinsamen Fortbildungen und Fachtagungen (Beispiel Jugendamt München / Jugendamtsleiter Schröer). Damit solche Leitungsinitiativen nicht dem Zufall persönlichen Engagements überlassen bleiben, bedarf es aber politischer Vorgaben.

    Fernziel wäre eine Gleichstellungspolitik wie in Großbritannien mit entsprechenden Gesetzesvorgaben und institutionellen Regelungen (Race Relation und Equal Opportunity Act, staatliche und kommunale Gleichstellungskommissionen. Vgl. Braham u.a. 1992).

    Aber diese Top-down-Strategien werden nur greifen, wenn sie auch durch die Lernbereitschaft der MitarbeiterInnen mitgetragen werden.

    Fortbildungen sind der geeignetste Ort, um auf kommunikativem Wege auch die genannten Statusprobleme zu bearbeiten. Durch die wechselseitige Abgleichung von Fremd- und Selbst-bild in einem geschützten Lernfeld können die abwertenden stereotypen Fremdbilder (genauso wie die positiv-romantisierenden) hinterfragt werden. Ein Übriges tut die persönliche Begegnung mit Menschen, deren Biographien selten in die verbreiteten Klischeevorstellungen passen.

    Dabei gibt es Ressentiments auf beiden Seiten. Auch Migranten können dazu neigen, bestimmte negative Fremdbilder der deutschen Kooperationspartner zu konstruieren, auf deren Folie sie als die kompetenteren, sensibleren und engagierteren Dienstleister - was ihre Klientel betrifft - erscheinen. Sofern dieses Fremdbild auf Ressentiments gründet, blockiert es den Delegationsprozess und verhindert eine konstruktive Zusammenarbeit.

    Interessant war das Ergebnis eines Seminars nicht-deutscher MitarbeiterInnen in der Jugendhilfe, die einmal unter sich sein wollten. Erst jetzt stellten sie fest, aus welch unterschiedlichen Schichten sie kommen, welch unterschiedliche Geschlechterpositionen sie vertreten, welch unterschiedliche qualifikatorische Voraussetzungen sie mitbringen und welch unterschiedliche Ziele und Konzepte sie verfolgen (Fortbildung des Hessischen Fortbildungswerks für soziale Fachkräfte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausländischer Herkunft in Jugendhilfeeinrichtungen 1995). All das wird verdeckt durch den mit dem Minderheitenstatus verbunden Solidarisierungseffekt. Die Überwindung des Minderheiten- status in den Arbeitsbeziehungen u.a. durch eine entsprechend aufgestockte Mitarbeiterschaft nicht-deutscher Herkunft und die Eröffnung von Karrierechancen würde demnach auch helfen, die Teambeziehungen zu individualisieren und destruktive Gruppenspaltungen abzubauen um die Marginalisierung der beschäftigten Migranten zu vermeiden.

    Darüber hinaus erfahren die MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund natürlich auch eine Aufwertung, wenn sie ihre Qualifikationsvoraussetzungen verbessern durch laufende Fort- und Weiterbildung. Dies bedarf aber eines spezifischen Förderinstrumentariums beziehungsweise setzt die interkulturelle Öffnung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen voraus (vgl. dazu kritisch zur herkömmlichen Supervisionsausbildung: Frey/Kalpaka 1999). Das Gleiche gilt natürlich auch für die grundständige Ausbildung für die sozialen Berufe, bei der Migranten noch immer stark unterrepräsentiert sind.

     

    Kampagne zur Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen: Initiative auf Bundesebene

    Die Koalitionsvereinbarungen enthalten ein vages Versprechen bezüglich eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes. Bisher haben sich die Verbände in ihrer Öffentlichkeitsarbeit noch herzlich wenig um dieses Thema gekümmert. Wichtig wäre auch, daß die Finanzierung der Dienste auf solide Füße gestellt würde. Der Übergang von der freiwilligen Leistung der Zuwandererberatung zur gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtaufgabe müßte in einem zukünftigen Einwanderungsgesetz geregelt?werden. Wie überhaupt eine solidere Finanzierung die Voraussetzung dafür ist, daß die Migrationssozialarbeit den erhöhten Anforderungen durch die neuen Grundsätze des Geldgebers (Vernetzungsinitiativen, mehr Gruppenarbeit und Selbsthilfeförderung, Übernahme neuer Einwanderergruppen) gerecht werden kann. Personell ist dieser Arbeitsbereich ausgeblutet (Rückgang der Beratungsdichte von 1986-96 von 1: 3500 zu 1: 5500. Vgl. Nestmann/Tiedt 1988 und Bund-Länder-Kommission ,,Ausländerpolitik" 1998, Anm 2). Freiwerdende Stellen werden häufig gestrichen, so daß jüngere u.U. qualifiziertere Kräfte nicht eingestellt werden können. Die ,,alte Garde" aber ist - kurz vor der Pensionierung - für neue Aufgaben nur schwer zu gewinnen. Den Rückzug einiger Länder aus der Finanzierung beantwortet der Bund mit der Drohung seinerseits auszusteigen, falls die Länder nicht die Hälfte der Kosten übernähmen - wovon sie weit entfernt sind.

    Politische Vorgaben sind auch auf kommunaler Ebene nötig. Einige Kommunen - wie München, Stuttgart, Frankfurt - entwickeln derzeit kommunale Gleichstellungsziele. Dies betrifft auch die Beschäftigung in den Regeldiensten der kommunalen Sozialarbeit und den psychosozialen Diensten (vgl. LH-München/Sozialreferat München 1995). Die proklamierten Leitvorstellungen bleiben allerdings ,,zahnlose" Lippenbekenntnisse, solange sie mangels breiter politischer Unterstützung nur äußerst zaghaft durchgesetzt werden. Für ein effektives Controlling fehlt zudem die Gesetzesvorgabe.

    Die Wohlfahrtsverbände sind ein wichtiger Bündnispartner bei der Mobilisierung einer politischen Öffentlichkeit, die sich für Gleichstellungsziele - zu denen u.a. die interkulturelle Öffnung der Regeldienste gehört - stark macht. Sie können auch von sich aus aktiv werden und sich mit der ,,Migrantenlobby" der Parteien, Gewerkschaften, Ausländerbeiräte und Selbstorganisationen zusammen tun, um öffentlichen Druck herzustellen.

    Sofern Verbandsvertreter auch in Ausschüssen sitzen (zum Beispiel Jugendwohlfahrts- ausschüsse) könnten sie ihre partikularistischen Bestandserhaltungsinteressen zurückstellen und sich für die allgemeine Reform der interkulturellen Öffnung einsetzen - zum Beispiel, indem sie dafür stimmen, daß Mittel mit Vorzug an diejenigen Mitbewerber vergeben werden, die sich in Richtung der Reformziele entwickeln (affirmative action). Diese Position kann man/frau allerdings nur glaubwürdig nach außen vertreten, wenn man/frau dieselbe Reform im eigenen Zuständigkeitsbereich vorantreibt. Auch muss bei den interkulturell verpackten Projektanträgen die Glaubwürdigkeit des Inhaltes geprüft werden, da viele Träger nur kosmetische Veränderungen vornehmen und mit der Vokabel ,,interkulturell" einen Etikettenschwindel betreiben, um die Vorgaben der Zuschussgeber zu erfüllen.

     

     

     

    Literatur

    Anderson, Philip (2000): Interkulturelle Kompetenz innerhalb der deutschen Kommunalverwaltung. Ergebnisse einer Studie in München. In: Zeitschrift für Migration und Soziale Arbeit 2/2000, S. 56-60

    Besamusca-Janssen, Mieke/Scheve, Sigrun, Anti-Rassismus Informationszentrum NRW. e.V. (Hg.) (1999): Interkulturelles Management in Beruf und Betrieb. Frankfurt am Main

    Dreezens-Fuhrke, Joyce/Josten, Hildegard/Papies-Winkler, lngrid/Pelkofer-Stamm, Margret/Stollenwerk, Fá (1999): Arbeit im interkulturellen Team und Vernetzung. In: IAF – Verband binationaler Familien und Partnerschaften : Beratung im interkulturellen Kontext. Dokumentation einer Weiterbildung für Beraterinnen und Berater der sozialen Dienste. Berlin, S. 159-169

    Braham, Peter/ Rattansi, Ali Skellington, Richard (ed.) (1992): Racism and Antiracism. Inequalities, Opportunities and Policies, Sage, London

    Bund-Länder-Kommission ,,Ausländerpolitik" (1998): Grundsätze für Aufgaben, Arbeitsweise und Organisation der Sozialberatung für in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer in der Trägerschaft von Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege (Grundsätze für die Ausländersozialberatung) vom 14.11 .86 in der Fassung vom 28.5.98

    Frey, Sibylle/Kalpaka, Annita (1999): Weiterbildung in der Einwanderergesellschaft. Potentiale und Hindernissee auf dem Weg zu einer Interkulturalisierung von Weiterbildung am Beispiel ,,Weiterbildungsstudiengänge Supervision. In: Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis, 31)4), S. 589-614

    Landeshauptstadt München/Sozialreferat/Sozialplanung (1995): Interkulturelle Ziele des Soziahreferates für eine bessere Ausrichtung der Regeldienste auf die ausländische Wohnbevölkerung, München (vervielfältigtes Manuskript)

    Nestmann, Frank/Tiedt, Friedemann (1988): Repräsentativuntersuchung Sozialberatung für Ausländer. Endbericht. Bonn

    Nispel, Andrea (1998): Recherche zu praktischen Ansätzen zur "Interkulturellen Öffnung und Kundenorientierung in kommunalen Einrichtungen" und ,,der Reorganisation von Beratungsarbeit mit Migranten und Migrantinnen" hrsg. Vom Amt für Arbeitsförderung und Statistik, Stadt Offenbach, Main