Konferenz am 20./ 21. Oktober 2005 in Berlin:
Vom pragmatischen Improvisieren zum integratiospolitischen Gesamtkonzept. Aufgaben einer innovativen Integrationspolitik


Konzeptionelle Überlegungen für die Konferenz am 20. / 21. Oktober 2005

Vom pragmatischen Improvisieren zum integratiospolitischen Gesamtkonzept

Aufgaben einer innovativen Integrationspolitik

Der Titel der Konferenz zitiert den Bericht der Zuwanderungskommission von 2001. Diese Zielrichtung gehört inzwischen zur integrationspolitischen Programmatik vieler Kommunen. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass Integrationspolitik auf neue konzeptionelle Überlegungen aufbauen muss. Seit dem Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes ist das Bundesamt für Migration damit beauftragt, ein bundesweites Integrationsprogramm zu erarbeiten. Doch entsprechen die konzeptionellen Anstrengungen, die in diese Richtung unternommen werden, den Anforderungen, die die Realität der Einwanderungsgesellschaft an ein Gesamtkonzept stellt?

Das neue Zuwanderungsgesetz und Integration

Das neue Zuwanderungsgesetz deckt das Aufgabenfeld der Integration nur zum Teil gesetzlich ab. Es stellt Regelungen sicher, Neuzuwanderern ausreichende Sprach- und Orientierungskurse zur Verfügung zu stellen. Auf die Integrationsaufgaben, die entstanden sind, weil die Realität der Einwanderung fast 50 Jahre lang nicht zur Kenntnis genommen wurde, ist das Zuwanderungsgesetz so gut wie nicht eingegangen. Die Neustrukturierung der Integrationsförderung durch das neue Gesetz, wie z.B. die organisatorische Bündelung von Zuständigkeiten und Haushaltsmitteln auf Bundesebene, stellt eine administrative Verbesserung dar. Aber die Informationen über die Entwicklung eines bundesweiten Integrationsprogramms, das seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zu den Aufgaben des Bundesamts für Migration gehört, sind, soweit verfügbar, so abstrakt formuliert, dass eine Bewertung kaum möglich ist.

Ganz anders sieht es auf kommunaler Ebene aus. Als man auf Bundesebene noch damit beschäftigt war zu verdrängen, dass Deutschland inzwischen ein Einwanderungsland geworden war, sahen sich die Kommunen schon seit langem damit konfrontiert, die Folgeprobleme der Einwanderung zu managen. Aber wie sich die Kommunen diesen Herausforderungen gestellt haben, war im wesentlichen von den politischen und verwaltungsstrukturellen Bedingungen abhängig, die für die Lösung von Problemen in den jeweiligen Kommunen bestimmend waren. Es wurden nicht problemadäquate Lösungen generiert, sondern es wurden, wie in anderen Organisationen auch, die herkömmlichen Problemlösungsstrategien und -mechanismen auf die neuen Herausforderungen übertragen. Die Reaktionen waren sozusagen „naturwüchsig“, ohne das Besondere der neuen Situation zu erfassen.

Die wachsenden Schwierigkeiten, die eine nicht gelungene Integration produziert, wie z.B. erhebliche Sprachprobleme bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, fehlende Schulabschlüsse und Berufslosigkeit dieser Jugendlichen, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, wachsende Segregation in bestimmten Stadtteilen und vor allem die Zunahme der Abhängigkeit von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen bei Migrantinnen und Migranten, führten bei Politik und Verwaltung auf kommunaler Ebene dazu, die bisherigen Strategien zu überdenken und verstärkt über Fragen der Integration zu diskutieren. Seit Mitte der 90er Jahre fing man in einigen Kommunen damit an, Integration als kommunalpolitische Gestaltungsaufgabe zu verstehen, und machte sich daran, kommunale Gesamtkonzepte zu formulieren. Die Städte Essen und Stuttgart sind hier prominente Beispiele. Aber auch diese Versuche, obwohl sie in den genannten Städten einzelne Erfolge aufweisen können, haben die Logik herkömmlichen Handelns in den Organisationen nicht durchbrochen.

Es fehlt eine konkrete Analyse der Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft, die allerdings nicht leicht zu realisieren ist, weil die Kriterien, nach denen die Statistiken erhoben werden, bis heute diese Wirklichkeit nicht angemessen abbilden. Erschwerend kommt hinzu, dass der gesellschaftspolitische Mainstream, unter dem Integrationspolitik zum Thema gemacht wurde, eher von ideologischen Annahmen als von der Realität geprägt war. Die integrationspolitischen Leitbilder, soweit sie vorhanden sind, sind eher moralisch aufgeladen und nicht zukunftweisend. Eine durchdachte Debatte über Integration, und über die Werte, auf denen sie gründen soll, lässt bis jetzt noch auf sich warten.

Die meisten Integrationskonzepte folgen zwar gut gemeinten Vorsätzen, erfüllen aber nicht die Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft an ein Integrationskonzept. Die Prominenz der Konzepte der Städte Essen und Stuttgart ist so gesehen eher dem Zufall zu verdanken und dem Umstand, dass kompetente Personen mit der Entwicklung, Umsetzung und Steuerung dieser Konzepte betraut wurden.

Initiativen für eine effektive Steuerung der Integrationsarbeit

Zur Zeit wird versucht, die Kommunen mit zwei Initiativen, eine auf Bundesebene und eine auf Landesebene, die aber bundesweite Wirkung zeigt, bei der Gestaltung ihrer zukünftigen Integrationspolitik auf ein komplexes Steuerungsmodell hinzulenken, das eine vernünftige Koordination der Aufgaben möglich macht: ein Steuerungsmodell, das auf der Analyse des Stands der Integration in der Kommune als Ausgangslage für die Entwicklung eines Integrationskonzepts aufbaut , das in Anbetracht der begrenzten Ressourcen die Handlungsfelder, Ziele und Zielgruppen priorisiert und über ein Controlling verfügt, das Aussagen über Zielerreichung, Wirkung und Ressourceneinsatz machen kann. In der einen Initiative versucht das BMI gemeinsam mit der Bertelsmannstiftung durch einen bundesweiten interkommunalen Wettbewerb ein Agenda-Setting für eine effektive Steuerung der Integrationsarbeit zu organisieren. Parallel dazu hat das Sozialministerium von NRW eine Broschüre herausgegeben, die von der KGSt in seinem Auftrag entwickelt wurde, die sozusagen ein Handbuch für eine effektive Organisation kommunaler Integrationsarbeit darstellt und inzwischen bundesweite Verbreitung erfahren hat.

Aber genügt es, wenn die konzeptionelle Gestaltung von Integration hauptsächlich unter dem Fokus einer effektiven Steuerung diskutiert wird?

Die aktuelle Debatte um das Konstrukt „Multikulturelle Gesellschaft“, um Islamismus und um Parallelgesellschaften sowie um die Nachlässigkeit in der Datenerhebung, der man sich jetzt zögernd stellt, hat gezeigt, dass die gesellschaftspolitischen Deutungen, unter denen Integrationspolitik zum Thema gemacht wird, bis jetzt eher von ideologischen Annahmen als von den Anforderungen der Realität geprägt sind. Das Thema Einwanderung und Integration wurde dazu benutzt, politische Grabenkämpfe und ideologische Abgrenzungen zu inszenieren. Das Ignorieren der Tatsache, dass Deutschland inzwischen zu einem Einwanderungsland geworden war, und die Politik des Mulikulturalismus verstellten jahrelang den Blick auf eine differenzierte Wahrnehmung der Strukturen, die sich in Deutschland in 50 Jahren Einwanderung entwickelt haben. In dieser Konfrontation konnte die Politik des Multikulturalismus, der seine Wurzeln in den sozialen Bewegungen der 70er Jahre hat, die Definitionsmacht besetzen und beeinflussen, was in der Einwanderungsgesellschaft als relevant zu gelten hatte. Dieser „interkulturelle Ansatz“ sieht die Ursache für die Probleme der Einwanderungsgesellschaft vor allem in der Diskriminierung fremder Kulturen durch die „Mehrheitsgesellschaft“. Die Lösung der Probleme liege darin, Fremde, und darunter fallen auch diejenigen, die bereits in der dritten Generation in Deutschland leben, in ihrer Andersartigkeit anzuerkennen. Diese „interkulturelle“ Perspektive, unter der das Thema Einwanderung und Integration immer noch wahrgenommen und problematisiert wird, wirkt sich auf die Definition der zu bewältigenden Aufgaben aus. „Fremdverstehen“, was auch immer das heißen mag, wird zur Schlüsselkompetenz in der Integrationsarbeit. Die Infrastrukturen, Programme und Maßnahmen, die zur Lösung der Integrationsprobleme in den zurückliegenden Jahren in Deutschland vor allem unter sozialpädagogischer Obhut entstanden sind, wurden von diesem gesellschaftspolitischen Mainstream bestimmt.

Wenn aber, wie es sich jetzt herausstellt, diese Perspektive kein differenziertes Bild der Einwanderungsgesellschaft wiedergibt, sollte bei der Debatte um integrationspolitische Gesamtkonzepte auch die integrative Wirkung dieser Maßnahmen, Programme und Projekte einer Reflexion unterzogen werden.

Das soll an zwei Beispielen erläutert werden:

Beispiel: Schulbereich

Jahrelang wurde z.B. im Bereich Schule im Kontext einer kulturalistischen Deutung auf das Verstehen der Fremdheit gesetzt. Von den Lehrern wurde vor allem Verständnis und Akzeptanz für kulturelle Besonderheiten erwartet. Es herrschte die Vorstellung, dass die Probleme der Kinder in der Schule vor allem auf eine geringe Anerkennung ihrer kulturellen Herkunft zurückzuführen seien. Dabei wurde jahrelang versäumt, die Frage der Sprachkompetenz bei der Definition der Aufgaben in den Vordergrund zu stellen. Auch die Relevanz, die neuerdings solchen Phänomenen wie der Nicht-Teilnahme an Klassenreisen, dem Sport- und Biologieunterricht und der Zwangsehe zukommt, wird zu einer Neu- Definition von Aufgaben in diesem Bereich führen und auch die Frage nach den entsprechenden Kompetenzen aufwerfen.

Beispiel: Interkulturelle Öffnung der Verwaltung

Auch die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und der Sozialen Dienste, die in unterschiedlichen Integrationsprogrammen und Konzepten eine prominente Rolle spielt, bekommt durch die Perspektive, mit der die jeweiligen Aufgaben der Verwaltung im Kontext der Einwanderungsgesellschaft definiert werden, eine andere Konnotation. Es ist ein Unterschied, ob die Anpassung der Verwaltung und der Sozialen Dienste an die Einwanderungsgesellschaft darin gesehen wird, eine allgemeine Fremdheitskompetenz auf der kommunikativen Ebene zu erwerben, oder ob darunter verstanden wird, dass die Verwaltung in die Lage versetzt wird, ihre bisherigen fachlichen Aufgaben auch unter den Bedingungen einer Einwanderungsgesellschaft professionell zu erledigen. Wenn eine Verwaltung oder Behörde sich in ihrem Öffnungsprozess die erstgenannte Perspektive zu eigen macht, wird sie sich damit begnügen, ihren Mitarbeitern standardisierte Trainings zum Erwerb interkultureller Kompetenz nahe zu legen, die meistens in ihrem allgemeinen Zuschnitt mit der jeweiligen konkreten Verwaltungsaufgabe im Integrationsprozess nichts zu tun haben. Wenn aber die Aufgabe darin gesehen wird, in dem jeweiligen Praxiskontext die durch Einwanderung veränderten sozialen Gegebenheiten und Strukturen mit zu reflektieren, dann bekommt interkulturelle Öffnung eine andere Konnotation. Die Maßnahmen und Projekte, die dann auf den Weg gebracht würden, gingen eher in die Richtung, die zielgruppenspezifischen Anforderungen für das jeweilige Handlungsfeld (Jugendhilfe, Kita, Schule, Suchthilfe, Polizei usw.) zu erfassen, zu reflektieren und konzeptionell zu bearbeiten und so das professionelle Handeln in den unterschiedlichen Handlungsfeldern den Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft anzupassen.

Wie die Beispiele zeigen, ist ein Unterschied darin zu sehen, ob die Probleme der Einwanderungsgesellschaft wie bisher vor allem als Ergebnis von Diskriminierung, von Fremdenfeindlichkeit und als Mangel an Anerkennung kultureller Differenz definiert werden oder ob in einer differenzierteren Betrachtungsweise, die sich jetzt langsam durchsetzt, der Fokus auf strukturell verfestigte soziale Probleme gelegt wird wie z.B. Sprach- und Bildungsprobleme, Getto-Bildung, Überlagerung sozialer Probleme durch das Spannungsfeld von Tradition und Moderne usw.

Wenn wir über Innovation in der Integrationspolitik sprechen, muss diese Konstellation bei der Formulierung eines integrationspolitischen Leitbilds, bei den Überlegungen zu einem Gesamtkonzept und hinsichtlich einer effektiven Steuerung beachtet, reflektiert und berücksichtigt werden.

Mit der Konferenz wollen wir dazu anregen.

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